Gudrun Frey Stiftung

Sligo Grammar School, Sligo, Irland

Abschlussbericht

Einleitung

Aufregung, Hektik, schnell nochmal alle Seiten im Buch überfliegen. Dann teilt der Lehrer die Arbeitsblätter aus, verkehrt herum legt er sie jedem vor die Nase. Die letzten offenen Bücher verschwinden vom Tisch. Alle haben ihre Blätter, es wird gewartet bis das letzte Getuschel unterbunden wurde. Auf die Plätze, fertig, jetzt geht’s los. Sofort die Aufgaben lesen, sich einen Überblick über Umfang und Niveau der einzelnen Sequenzen verschaffen. Die ersten fangen eifrig anzupinseln, tief über ihr Blatt gebeugt befinden sie sich in einem Tunnel und blenden alles andere aus. Der gesamte angestaute Stoff der letzten Wochen ergießt sich nun über das Prüfungspapier. Andere Schüler wissen hingegen noch nicht so genau, welche Schublade sie für die Lösung der ersten Aufgabe öffnen müssen und knabbern nervös an ihrem Kuli herum. Doch auch sie erfassen meist irgendwann zumindest den Großteil der Aufforderung und können, unterbrochen von Schreibblockaden, die Zeilen füllen. Und dann gibt es noch die, die quasi seit der ersten Sekunde kopfschüttelnd die Blätter hin und her wenden, als könnten sie so die Antworten aus den Seiten wedeln. Den Kopf auf den Arm gestützt sitzen sie die meiste Zeit ab und versuchen hin und wieder einen unauffälligen Blick zum Nachbarn zu erhaschen.

Die Zeit wird langsam knapp. Hastig werden die letzten Wortgruppen und Gedankenfetzen hingekritzelt, nochmal gecheckt, dass auch alle Aufgaben abgearbeitet wurden…oder es zumindest versucht wurde. Dann ertönt die Klingel, alle müssen abgeben. Wer jetzt noch einen Stift in der hält, wird sich bald über die letzten 45 Minuten Konzentration ärgern, die er für umsonst aufgebracht hat.

Und dann ist es auch schon vorbei. Die Anspannung fällt ab, die eine Hälfte ist einfach froh, es endlich hinter sich gebracht zu haben, die andere vergleicht sofort alle Ergebnisse mit Buch, Banknachbar und wenn es sein muss auch mit dem Lehrer.

Es ist, als wäre es erst gestern gewesen. Genau die gleichen Bilder, dieselben Emotionen. Nur, dass ich diese Szenen jetzt nicht mehr als Schüler erlebe, sondern als Aufsichtsperson, als Lehrer. Irgendwo ist man froh, selbst nicht mehr diesem Stress ausgesetzt zu sein, aber ganz werde ich mich wohl nie davon befreien können. Ein bisschen Aufregung ist auch immer für den Lehrer dabei, vor allem, wenn man von jetzt auf gleich die Fronten wechseln musste und ohne große Vorwarnung in das Berufs- und Alltagsleben eines Pädagogen eintaucht.

Mittlerweile sind schon einige Wochen an meinem Einsatzort, der Sligo Grammar School, vergangen und die Routine ist halbwegs eingekehrt. Dass aller Anfang schwer ist, wissen wir alle, doch dass ein Anfang gleichzeitig auch ein Ende bedeutet, wollte ich lange nicht wahrhaben. Ich meine am Ende nicht im Sinne von Abschluss oder Beenden eines Kapitels, sondern ich begreife es als den Abschied von zu Hause, als das vorläufige Einlegen einer Pause und Verlassen von allem Gewohnten. Abschied nehmen von allen Personen, die einem wichtig sind, aber auch von Gewohnheiten und Aktivitäten, die in den letzten Jahren meinen Wochenablauf maßgeblich bestimmt und geprägt haben. Als dann die Tage des Abschieds kamen, wäre ich auch ehrlich gesagt bereit dazu gewesen, einen Rückzieher zu machen. Vor allem am finalen Abreisetag wäre ich am Berliner Flughafen am liebsten direkt wieder ins Auto gestiegen und ab nach Jena gefahren. Aber solch Feigheit war jetzt zum Glück nicht mehr möglich. Es gab nur noch eine Richtung, nach vorne.

Mit Leonard hatte ich dann auch bei unseren Aufenthalten am Flughafen und am Busbahnhof einen guten Gesprächspartner. Es war eine willkommene Ablenkung und auf jeden Fall einfacher, als allein zu reisen. Die Anreise klappte so weit problemlos. Dass auf die Pünktlichkeit irischer Busse meist kein Verlass ist, wurde uns gleich beim Warten auf den Bus nach Sligo bewusst. Aber mit 45 Minuten Verspätung konnten wir noch leben. Nach ungefähr Stunden Fahrzeit kamen wir erschöpft, aber sehr zufrieden mit uns auf dem Schulgelände an. Auf dem Hof begegneten wir gleich ein paar Schülern und dem Internatsleiter. Er war von der ersten Sekunde an sehr hilfsbereit und freute sich enorm uns begrüßen zu dürfen. Uns wurden unsere Zimmer gezeigt und den Rest des Abends war dann auch jeder damit beschäftigt, alles auszupacken und erstmal in Ruhe anzukommen. Solch einen aufregenden Tag hatte ich schon lange nicht mehr erlebt und so wurde ich am Abend dann von meinen Emotionen überrollt. Die neue Umgebung, fremde Leute, eine andere Sprache (und vor allem ein gewöhnungsbedürftiger Akzent); all das, verbunden mit dem Gefühl, irgendwie allein zu sein, machten die ersten Nächte nicht gerade einfach. Aber ich war und versuchte mit einer positiven Einstellung in meinen ersten Tag an der Sligo Grammar School zu starten.

Der Start

Am Morgen teilte man uns mit, dass die Deutschlehrerin heute noch nicht anwesend sei. Das war aber nicht weiter schlimm, da es genug anderes zu sehen und entdecken gab. Nachdem wir den Schulleiter kennengelernt hatten, wurden wir im Lehrerzimmer allen Lehrern vorgestellt und mit einigen kam man gleich ins Gespräch. Auch dieses Jahr gibt es anscheinend viele neue und auch junge Lehrer, die sich, genau wie wir, erstmal einarbeiten und alles kennenlernen müssen. Aber trotzdem bin ich davon begeistert, wie herzlich alle in das Kollegium aufgenommen werden. Es wird sofort Interesse an deiner Person gezeigt und dadurch fühlt man sich mehr als willkommen. Generell sind die Iren ein solch nettes und offenes Volk, sie helfen und unterstützen, wo sie können und nehmen sich immer Zeit. Alle sind sehr höflich aber zugleich auch unglaublich locker im gegenseitigen Umgang. Diese Atmosphäre spürt man auch im Lehrerzimmer. Wenn sich in der großen Pause das gesamte Kollegium im Lehrerzimmer auf einen Kaffee oder Tee trifft, kann man beobachten, wie eigentlich alle als gute Freunde miteinander reden. Dabei macht es keinen Unterschied, ob man Direktor oder Buchhalter ist, alle pflegen einen freundschaftlichen Umgang und plaudern über Gott und die Welt. Situationen, die ich mir aus unserem deutschen Lehrerzimmer nie hätte vorstellen können. An dieses nette Klima kann man sich wirklich gewöhnen.

Am nächsten Tag trafen wir endlich die Deutschlehrerin der Schule. Sie ist eine ganz tolle Person, sie geht voll und ganz in ihrer Lehrerrolle auf und die Schüler lieben sie über alles. Mit ihr konnten, wie erstmal alles wichtige absprechen. Es wird also so sein, dass wir in einigen Stunden anwesend sind, um vor allem bei der mündlichen Arbeit zu helfen. Außerdem werden wir in der nächsten Woche unseren Plan für die Oral Slots erhalten. Jeder Schüler des fünften und sechsten Jahrgangs erhält nämlich wöchentlich eine zwanzigminütige Einzelstunde, in der wir sie auf die mündliche Abiturprüfung vorbereiten. Dabei geht es um das Reagieren auf allgemeine Fragen zur Person, das Erlernen eines Rollenspiels und das Präsentieren eines selbstgewählten Themas. Schon an unserem dritten Tag in Irland wurden wir von dem TY-Koordinator gefragt, ob wir denn einen Schulausflug der TY´s begleiten könnten. Es klang sehr interessant und wir sagten gleich zu. Es ging nämlich für eine Nacht zum Campen. Was wir nicht ahnten, dass das Wetter zum Campen nicht hätte, schlechter sein können. Bei strömenden Regen kamen wir im Park an und gleich ging es weiter in den Kletterwald. Ich wunderte mich ziemlich, dass er bei solchen Bedingungen überhaupt geöffnet war. Aber die Schüler hatten ihren Spaß und trotzten der Nässe und der Kälte. Für den Abend hatten die Lehrer Einweggrills besorgt, und so konnte man sich in Grüppchen sein eigenes Mahl zubereiten.

Für uns gab es Burger und zum Glück hatte es mittlerweile aufgehört zu Schütten, sodass wir in Ruhe vor dem Zelt essen konnten. Mit der Dunkelheit wurde es dann jedoch sehr schnell sehr kalt, und auch im Zelt konnte ich mich nicht wirklich einkuscheln, denn für einen Schlafsack war zwar gesorgt, wir mussten aber ohne Isomatte auskommen. Trotz mehrerer Schichten, die ich trug, kühlte man durch den kalten Waldboden so aus, dass ich die Nacht fast kein Auge zu machen konnte. Ich war so froh, als die Nacht um war und sich draußen langsam alles etwas aufwärmte. Nach dem Frühstück (Bohnen und Würstchen vom Grill) ging es dann in eine Art Team-Park. In verschiedenen Räumen waren Challenges in 3er bis 4er Teams zu bewältigen. Diese waren entweder physischen oder psychischen Charakters und erforderten einige Anläufe. Auch hier konnten die meisten begeistert werden und auch Leonard und ich robbten nicht nur einmal durch auf allen vieren durch den ein oder anderen schmalen Tunnel. Ziemlich geplättet und durchfroren von der Nacht waren wir dann doch froh, als es mit dem Bus wieder ins Internat ging und man sich nach einer heißen Dusche für einige Stunden ins Bett packen konnte. Auch zu dem nächsten TY-Ausflug wurden wir hinzugerufen. Es ging nach Dublin zu einer Messe für das Transition Year mit Ständen für diverse Aktivitäten und Sprachreisen. Ich hätte nie gedacht, dass so viel Wert auf das Übergangsjahr gelegt wird. Es gibt ein riesiges Angebot von allen möglichen Organisationen, die das Transition Year unterstützen und dir Schüler schienen auch recht interessiert.

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Die zweite Woche

Nachdem die erste Woche also noch mehr oder weniger ruhig verlief, begannen wir in der zweiten Schulwoche schon mit den Orals. Jeder von uns hat 20 Schüler zu betreuen. Ich war echt nervös vor meiner ersten Stunde, weil ich einfach nicht genau wusste, was man von uns erwartet bzw. ob ich überhaupt in der Lage bin, ihnen etwas Hilfreiches beizubringen. Aber es war echt in Ordnung. Das meiste ergibt sich sowieso aus der Stunde heraus. Man bekommt schnell mit, wo die Stärken und Schwächen liegen und was noch einmal wiederholt werden müsste. Da es die erste Woche war, erschienen viele der Schüler nicht zu ihrer Stunde, aber ich war zuversichtlich, dass sich alles einlegen würde. Nun hatten wir also erstmal unsere Grundaufgaben und waren damit vorerst gut beschäftigt. Jeder Tag der ersten drei Wochen war wieder aufregend, weil immer etwas Neues hinzukam, seien es neue Leute, die man kennenlernte oder auch der berühmte Schubs ins kalte Wasser.

Die dritte Woche

Eines Montagmorgens, es waren gerade einmal drei Wochen seit unserer Anreise vergangen, begegnete ich einem in Hektik befindlichen Schuldirektor. Er teilte mir mit, dass unsere Deutschlehrerin ganz kurzfristig ausgefallen sei, und unten im Deutschraum ein 2nd-year auf den Unterricht warte. Kurzerhand stand ich also vor 25 mir fremden Schülern, die es nun galt, zu bespaßen. Da Leonard an diesem Tag erst später anfängt, war er noch nicht im Schulhaus und ich war vorerst auf mich allein gestellt. Ich weiß nicht mehr genau wie, aber irgendwie schaffte ich es, mit Bankrutschen und anderen kleinen Vokabelspielchen alle bei Laune zu halten. Es klingelte und meine Anspannung fiel zunächst ab. Als sich dann aber keiner rührte, sondern mich alle nur mit großen Augen anschauten und meinten „wir haben eine Doppelstunde“, wurde ich erneut hektisch.

Doch auch die nächsten 40 Minuten konnte ich mit Wiederholungsübungen füllen und tatsächlich merkte ich, dass es trotz der Spontanität und des Fehlens einer Vorbereitung Spaß machte, den noch relativ kleinen Schülern einfache Dinge beizubringen. Trotzdem stand ich danach noch ganz schön unter Strom, vor allem weil sich herausstellte, dass wir alle Deutschklassen des Tages und wahrscheinlich noch der ganzen Woche übernehmen sollten.

Wir begannen also uns Gedanken über das weitere Vorgehen zu machen, was sich aber nun mal schwierig gestaltete, weil wir wenig Ahnung vom aktuellen Stoff der einzelnen Klassen hatten. Die ersten zwei bis drei Wochen, in denen wir noch nicht einmal in allen Unterrichtsstunden anwesend waren, hatten einfach nicht ausgereicht, um zu wissen, wie weit die Schüler im Stoff waren. Außerdem hatten wir null Erfahrung in Sachen unterrichten und wie man am besten vorgeht. Deshalb beschränkten wir uns vorerst auf Wiederholungen und das Lesen und Übersetzen einfacher Texte. Für mich persönlich waren die schönsten Stunden bei den beiden jüngsten Jahrgängen. Ich weiß nicht wieso, aber irgendwie machte es mir mehr Spaß und ich konnte mehr in der Lehrerrolle aufgehen.

Schwerer viel es mir bei dem fünften und sechsten Jahr. Vielleicht ist es der nur minimale Altersunterschied, vielleicht aber auch das Gefühl, mit meinen jetzigen Englischkenntnissen keinen für sie anspruchsvollen Unterricht zu gestalten. Es fiel mir schwer, etwas Geeignetes für sie zu finden, aber ich glaube sie wissen auch, dass es für uns junge „Lehrer“ keine einfache Situation war. Das Transition Year war kein großes Problem, sie arbeiteten zurzeit an Postern für ihr Projekt und das konnten sie die Woche weiterhin tun. Sehr anstrengend war das dritte Jahr. Es war, als müsste man einen Sack Flöhe hüten. Nichts als Unruhe herrschte im Klassenzimmer und ich wusste einfach nicht, wie ich diese Klasse unter Kontrolle kriegen sollte. Zu unserem Glück schickte man uns in einigen Stunden einen Lehrer mit in den Unterricht, der für Ruhe sorgen sollte.

Mitte der Woche schickte uns unsere Chefin zum Glück ein kleines Update, was den aktuellen Stoff betraf. Daran konnten wir uns ein bisschen orientieren und versuchten, im Stoff weiterzugehen. Insgesamt war die Woche eine gute Erfahrung und ich war schon stolz, ohne großartige Vorbereitung und Vorwarnung, alles einigermaßen beherrscht zu haben. Es war eine große Überwindung, auf einmal allein vor einer kompletten Klasse zu stehe, und als einzig wirkliche Konstante auf sein Deutsch vertrauen zu können. Die Woche zeigte mir, dass solch spontane Aktionen manchmal gar nicht so schlecht sind, um über seinen eigenen Schatten springen zu müssen. Die erste Feuerprobe war also bestanden. Trotzdem wünschten wir uns sehnlichst einen Vertretungslehrer, der glücklicherweise schon am nächsten Montag eintraf.

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Doch vorher kam erstmal das geschlossene Wochenende, das wir uns, wie wir fanden, auch verdient hatten. Alle Schüler mussten am Freitagnachmittag das Internat verlassen und zudem war auch der Montag schulfrei, sodass man drei volle Tage frei hatte. Solch eine Chance sollte man natürlich gleich nutzen und so buchte ich mir für zwei Nächte ein Hostel mitten in Dublin. Ich war ziemlich nervös, als ich am Samstagmorgen in den Bus stieg, auf dem Weg zu meiner ersten kleinen Reise allein. Vor allem hatte ich vorher noch nie Erfahrungen mit einem Hostel gemacht und war echt gespannt was mich erwarten würde. Doch eigentlich verlief alles nach Plan. Bis auf zwei ziemliche Regentage und eine Erkältung, die mich leicht außer Gefecht setzte, hatte sich das Wochenende gelohnt. Ich habe viel von der Stadt gesehen und allein die Hostel-Übernachtung war eine Erfahrung wert. Im Aufenthaltsraum lernte ich zwei Bolivianer kennen, die extrem aufgeschlossen waren und mich sogar fragten, ob ich am nächsten Tagen mit zu den Cliffs kommen wolle. Dankend musste ich ablehnen, weil ich ja eigentlich dort war, um mir erst einmal Dublin anzuschauen. Aber jetzt weiß ich, warum es sich bei solchen Trips immer lohnt, in ein Hostel zu ziehen. Trotzdem fand ich leider niemanden weiter, mit dem ich zusammen die Stadt hätte besichtigen können. Allein reisen funktioniert, vor allem wenn es nur ein bis zwei Tage sind, aber nach diesem Wochenende muss ich sagen, dass ich sowas ungern nochmal machen möchte. Die Erfahrung war es wert, keine Frage. Aber man fühlt sich doch recht einsam und wünscht sich immer jemanden an seine Seite, mit dem man lachen und sich austauschen kann. Ich werde auf jeden Fall zusehen, dass ich bei meinem nächsten größeren Ausflug nicht allein losziehen muss…

Nach einem aufregenden Wochenende starteten wir also mit unserer neuen Deutschlehrerin. Sie kommt ursprünglich aus der Schweiz, lebt aber schon 30 Jahre in Irland, was bedeutet, dass sie sowohl Deutsch als auch Englisch fließend spricht. Das macht die Kommunikation an einigen Stellen doch erheblich einfacher. Nun waren wir also diejenigen, die schon länger an der Schule waren und sich besser auskannte. Wir zeigten ihr vieles und erklärten, was unsere bisherigen Aufgaben waren. Nach einigen Tagen funktionierte auch alles sehr gut. Sie konnte mit den Schülern im Stoff weitergehen und ich war im Unterricht immer anwesend und konnte kleine Übungen übernehmen oder half bei Übersetzungen und der Aussprache. Ich komme wirklich gut mit ihr aus, sie hat zwar einen anderen Lehrstil, ist aber in ihrem Vorgehen genauso strukturiert und hat schließlich schon ein paar Jahre Berufserfahrung. Leider teilen viele Schüler meine Sichtweise nicht. Vor allem die Seniors im sechsten Jahr konnten sich mit einer Veränderung nicht so recht anfreunden. Jegliches Abweichen von ihrer vertrauten Methodik wurde mit einem skeptischen Blick oder abwertenden Spruch kommentiert. Lief etwas nicht so, wie es sich die Schüler vorstellten, wurde sofort abgeschaltet und es herrschte Unruhe. Aus dem Blick eines Lehrers kann man nun endlich einmal nachvollziehen, was es heißt, wenn sich die Klasse gegen einen richtet und loslegt zu quatschen, sobald man ihnen den Rücken zudreht. Die Vertretung tat mir echt leid und ich schämte mich teilweise für das oftmals arrogante Verhalten der Schüler ihr gegenüber. Sie tat wirklich ihr Bestes, alle zu motivieren und ihre Kooperation anzubieten.

Doch anscheinend wollen alle einfach nur ihre einzig wahre Lehrerin zurück, was mich wiederum auch beeindruckte. Erst jetzt wurde mir klar, wie viel Sympathie und Respekt ein Lehrer ernten kann und war begeistert von der Solidarität, die von den Schülern ausging. Leider waren sie aber so fixiert auf sie, dass sie keine Veränderung zulassen wollten. Aber trotz allem kommen wir mittlerweile recht gut voran und die Schüler bekommen alles an mündlicher und schriftlicher Arbeit. Umso besser funktioniert der Unterricht mit den Juniors. Das erste und zweite Jahr ist kein großes Problem, alle sind bei der Sache und arbeiten mit. Auch das chaotische dritte Jahr konnte langsam gezähmt werden und nach vier Wochen merkt man schon einen deutlichen Fortschritt in Sachen Disziplin. Schon gleich am Anfang meiner Arbeitszeit hier, versuchte ich so viel wie möglich vom Internatsleben mitzubekommen und den Tagesablauf hier zu verstehen. Ich gesellte mich des Öfteren zu der Night-Duty Person und „shadowed“, wie man hier so schön sagt. Die Matron im Internat übernahm dann zusammen mit mir die Samstagabend-Dienste. Ich war froh immer noch jemanden an meiner Seite zu haben und von Woche zu Woche übernahm ich an diesen Abenden immer mehr die alleinige Verantwortung, bis ich irgendwann allein für den Samstag eingeteilt wurde. Es ist aber trotzdem immer jemand noch im Haus oder zumindest telefonisch erreichbar. Es war super, dass ich langsam an die Aufgaben als M.O.D herangeführt wurde, denn am Anfang hatte ich echt Respekt alleine mit so vielen Schülern zu sein! Doch durch die allmähliche „Entwöhnung“ traute ich mir jedes Mal mehr zu. Außerdem sind die Wochenend-Dienste nicht ganz so stressig wie in der Woche, schließlich sind viel weniger Schüler im Internat, es müssen keine Handys eingesammelt werden und vor allem ruft am nächsten Morgen kein frühes Aufstehen oder Hektik. Aber auch wenn man am Wochenende mal was vorhat, ist das Tauschen kein Problem und so übernahm ich bis jetzt auch zweimal den Dienst in der Woche. Das bedeutet, abends alle ins Bett zu schicken, die Handys einzusammeln und für Ruhe zu sorgen, am nächsten Morgen wecken und die Anwesenheit prüfen. Da aber morgens und abends immer zwei Personen zeitüberschneidend eingeteilt sind, ist alles gut zu bewältigen.

Die fünfte Woche

Mittlerweile kenne ich auch die meisten Gesichter, was den Umgang mit den Mädels enorm erleichtert. Nach vier Wochen bekam ich dann auch eine TY-Activity zugeteilt, nämlich das wöchentliche Scrapbooking (eine Art Tagebuch) mit dem Transition-Year. Ganz spontan wurde ich angesprochen, ob ich diese abendliche Beschäftigung nicht übernehmen könne. Ich war gespannt, was auf mich zukam. Aber eigentlich ist es nicht weiter spektakulär. Im Grunde sollen die Mädels Tagebuch mit kleinen Einträgen und Bildern führen. Das Problem war nur, dass der Großteil dazu keine Lust hatte, und sich lieber mit anderen Dingen beschäftigte. Leider ist meine Autorität, gerade gegenüber 15- bis 16-Jährigen noch nicht so, dass sie unbedingt auf mich hören würden. Es war irgendwie ein frustrierender Abend, nicht für genügend Motivation gesorgt haben zu können. Als ich dann mitbekam, dass man für das Internat Halloween-Dekoration brauchte, überlegte ich mir gleich einige einfache, aber nette Dinge, die ich mit den TY’s in dieser wöchentlichen Stunde basteln könnte. Ich besorgte einige Materialien und war fest davon überzeugt, dass meine Halloween-Ideen gut ankommen würden. Leider erschienen diesmal viel weniger als letzte Woche, was mir gegenüber ein eindeutiges Signal war. Zum Glück machten wenigstens die verbliebenen gut mit und wir konnten eine kleine Menge an Deko-Artikeln herstellen. Ich hoffe, mir werden noch Dinge einfallen, wie ich alle dazu bewege, Spaß an der Sache zu haben. Aber irgendwo ist es schwierig, das Interesse dieser Altersgruppe zu wecken. Zumindest wollte mir bis jetzt noch keine zündende Idee kommen…

Langsam schlich sich wieder das Heimweh ein, das ich seit den ersten paar Tagen eigentlich ganz gut ausschalten konnte. Es war nun langsam Routine in den Alltag gekommen, darüber war ich auch sehr froh, aber es spielte sich nun mal jeden Tag dasselbe ab. Mir fehlte einfach die Ablenkung durch abwechslungsreiche Beschäftigungen am Nachmittag. In der Schule wurde ich nicht weiter gebraucht und andere Gappies gibt es auch nicht, mit denen man zusammen etwas unternehmen könnte. So hat man viel Zeit zum Nachdenken, manchmal zu viel. Aber so wie bei meiner Ankunft dachte ich mir: good things take time. So lange bin ich schließlich noch nicht hier und es werden sicher Gelegenheiten kommen.

Umso gelegener kam zu dieser Zeit ein Überraschungsbesuch aus Deutschland. Eines Morgens kam ich in den Klassenraum, und als ich meine Blicke nach einem freien Platz schweifen ließ, entdeckte ich zwischen all den Schülern ein bekanntes Gesicht. Ein guter Schulfreund hatte die Reise auf sich genommen, um mich in der Schule zu überraschen. Ich hatte wirklich keine Ahnung gehabt und freute mich riesig. Nach Schulschluss und am Wochenende zeigte ich ihm die Gegend, darunter auch meine bisheriger Lieblingsort Strandhill. Mit dem Bus ist der Küstenort in einer halben Stunde zu erreichen und perfekt zum Ausspannen geeignet. Nachdem ich das erste Mal dort war, machte ich am Wochenende immer mal einen Tagesausflug dorthin, um am Strand entlangzuspazieren und das beste Eis weit und breit zu genießen. Da die Möglichkeiten für Tagesausflüge hier in der Umgebung doch eher begrenzt sind, bietet sich Strandhill von der Entfernung gut an und es ist jedes Mal wieder ein tolles Erlebnis. Außerhalb Strandhills ist von weitem schon ein tafelbergähnliches Gebilde, der Knocknarea, zu erkennen. Eines schönen Samstagvormittags machten Leonard und ich es uns zur Aufgabe, diesen Berg zu besteigen. Nach ca. einer Stunde Aufstieg wurden wir oben mit dem wohl tollsten Panorama der Umgebung belohnt. Man hatte einen 360° Blick über die gesamte Bucht und konnte weit bis zum Horizont sehen. Dieser Ausflug hatte sich wirklich gelohnt.

Kurz vor den Ferien gab es dann in der Schule noch einen Tag der offenen Tür. Die Räume wurden Fächer entsprechend dekoriert und sogar die Schulband trat auf. Mit liebevoller Hand richteten wir den Deutschraum her und besorgten Materialien für die Kinder, um kleine Flaggen zu basteln. Außerdem besorgte ich kleine Snacks, wie saure Gurken, Stollen und Bockwurst. Das absolute Highlight für irische Schüler sind allerdings Gummibärchen! Alle lieben Haribos und nach kurzer Zeit waren sie schon vergriffen. Zwei Schüler des sechsten Jahres hielten, in Dirndl und Lederhose, für jede Eltern-Schüler-Gruppe, die vorbeikam, eine kurze Präsentation mit einigen einfachen Vokabeln und Bildern von Deutschlandreisen. Sie stellten die Lehrerin und auch uns kurz vor. Deutsch ist nämlich die einzige Fremdsprache, die an dieser Schule Sprachassistenten bekommt und ist deshalb auch recht attraktiv. Die Eltern schienen sehr interessiert und ich denke, dass wir einen sehr guten Eindruck von der Sprache Deutsch und dem Deutschunterricht machen konnten. Vor allem, weil die Schüler so von ihrer Lehrerin schwärmten.

Die neunte Woche

Mittlerweile ist also die neunte Woche für mich angebrochen. In der Zeit seit meiner Anreise habe ich vieles dazugelernt. Die Anfänge sind gemacht und der Weg hat sich deutlich geebnet. Mir war es vor allem erst einmal wichtig, in den Schulalltag zu finden, zu begreifen, welche Regeln und Abläufe es gibt. Es gibt bestimmt noch vieles, was dazu kommen wird, aber ich bin froh, dass die nötige Ruhe eingekehrt ist und ich mich jetzt auch nach „extra“-Dingen umsehen kann. Ein bestimmender Faktor ist dabei natürlich auch die Sprache. Am Anfang hatte ich doch hin und wieder einige Verständnisprobleme aufgrund des nicht zu unterschätzenden Akzentes. Aber das Verstehen funktioniert nun schon besser und man wird vertrauter mit landestypischen Floskeln, die man vorher einfach nicht kannte. Dabei hilft vor allem der schon angesprochene lockere gegenseitige Umgang im Lehrerzimmer, aber auch kurze Unterhaltungen mit Schülern bei den Einzelstunden, bei denen man gängige Phrasen aufschnappt. Außerdem habe ich das Gefühl, dass auch meine Sprachkompetenz sich allmählich verbessert. Sagen wir so, man versteht was ich meine und ich komme überall zurecht. Ich weiß, dass ich im Affekt oftmals untypische Satz oder Grammatikstrukturen verwende, für die ich mich im Nachhinein schäme, aber ich habe noch acht Monate vor mir, um auch das noch größtenteils auszubügeln. Generell geht es mir insbesondere darum, nicht bis ins letzte alle möglichen Vokabeln zu wisse, sondern mit meinem Umfang an Vokabular (dass sich auch schon deutlich erweitert hat), korrekte Sätze zu bilden und mich fließend mit einem Muttersprachler unterhalten zu können. Wenn ich das am Ende des Jahres geschafft hab, wäre ich mehr als zufrieden. Kleine Erfolgserlebnisse gibt es dabei jetzt schon, wenn man es nämlich geschafft hat, am Telefon eine Buchung für ein Hostel getätigt zu haben. Vor Telefongesprächen in Englisch hatte ich nämlich immer ziemlichen Respekt aber wie ich jedes Mal wieder feststelle: man wächst mit seinen Aufgaben. In diesem Sinne hoffe ich, dass weitere Herausforderungen auf mich warten. Ich bin mehr als gespannt auf den neuen Abschnitt bis Weihnachten, gerade weil es wieder einen Wechsel im German Department geben wird und es wieder eine kleine Umstellung sein wird. Bis zum nächsten Bericht wird es denke ich wieder einiges zu erzählen geben. Ich freue mich schon auf die neuen Erkenntnisse und Erfahrungen, die mich bis dahin erwarten und werde mein bestmögliches geben, die Schule so gut es geht zu unterstützen.

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